Alfa Romeo 75 (1987) im Fahrbericht: Harte Kante zum Geburtstag

Der Alfa Romeo 75 ist mehr als nur eine weitere Sportlimousine aus den Achtzigern. Als er 1985 vorgestellt wird, ist er Geburtstagsgeschenk und Abschied zugleich. Geburtstagsgeschenk, weil Alfa mit ihm das 75. Firmenjubiläum feiert – daher auch der Name. Abschied, weil er die letzte rein bei Alfa entwickelte Limousine mit Hinterradantrieb ist, bevor Fiat das Ruder übernimmt. Für viele Alfisti ist er deshalb bis heute der letzte echte Alfa.
Optisch zeigt der 75 die Handschrift von Centro-Stile-Chef Ermanno Cressoni. Das kantige, keilförmige Design ist typisch Achtziger, aber so konsequent durchgezogen, dass es bis heute Charakter ausstrahlt. Im Innenraum geht es ebenso eigenwillig weiter: ein blockhaftes Armaturenbrett, eine Mittelkonsole wie aus einem Guss und als Detail der skurrile, bügelförmige Handbremsgriff.
Bildergalerie: Alfa Romeo 75 (1987) im Fahrbericht








Technisch ist der 75 ein clever konstruiertes Auto. Alfa wählte die Transaxle-Bauweise: Motor vorne, Getriebe und Kupplung an der Hinterachse, verbunden durch eine Kardanwelle. Zusammen mit der aufwendig konstruierten De-Dion-Hinterachse und Drehstabfederung vorne bringt das eine ideale Gewichtsverteilung von 50:50 – ein Alleinstellungsmerkmal in seiner Klasse. Entsprechend präzise und fahraktiv präsentiert sich der 75 auf der Straße.
Die Motorenpalette reicht von bodenständigen Vierzylindern über aufgeladene Turbos bis zum legendären Busso-V6 mit drei Litern Hubraum. Letzterer leistet 189 PS und macht den 75 zum ernsthaften Sportler. Ab 1987 kommt die Twin-Spark-Technologie hinzu – zwei Zündkerzen pro Zylinder für bessere Effizienz und mehr Punch. So leistet der 2.0 Twin Spark 145 PS, läuft 205 km/h und galt als sportlicher Sweet Spot im Programm.

Mit rund 388.000 gebauten Exemplaren zwischen 1985 und 1992 bleibt der 75 zwar kein Exot, doch er bekommt durch seine Motorsport-Einsätze Kultstatus. Alfa setzt ihn in der Tourenwagen-Europameisterschaft und im Rallyesport ein.
Für die Homologation der Gruppe A entsteht 1987 der Turbo Evoluzione – nur 500 Stück wurden gebaut. Heute ist er einer der begehrtesten 75 überhaupt. Und auf derselben Technikbasis entstehen sogar die extrovertierten Zagato-Derivate SZ und RZ, die zeigen, wie viel Potenzial in dieser Plattform steckt.
Preislich liegt ein Alfa Romeo 75 2.0 Twin Spark Ende der Achtziger bei rund 31.000 D-Mark, inflationsbereinigt etwa 32.000 Euro. Damit ist er nicht nur emotional, sondern auch wirtschaftlich ein Statement. In den USA heißt er "Milano", dort gibt es ihn unter anderem mit V6 und Automatik – ein Exot auf dem amerikanischen Markt, aber ein spannender Beweis, wie Alfa Romeo auch jenseits des Atlantiks Enthusiasten erreichen will.

Heute gilt der 75 als Ikone seiner Zeit. Kantig, charakterstark, technisch eigenwillig. Ein Auto, das bewusst anders ist und deshalb bis heute fasziniert. Wer einen 75 fährt, spürt sofort, warum Alfa Romeo in den Achtzigern ein Synonym für Leidenschaft war – und warum dieses Modell für viele das letzte Kapitel einer Ära markiert.
Auch heute noch agil und komfortabel
Genau dieses Modell konnten wir ausführlich bewegen. "Unser" Alfa hat den zwei Liter großen Twin-Spark-Vierzylinder unter der Haube, der mit 145 PS auch heute noch eine gute Figur macht. Ob wohl dieses Exemplar bereits mehr als 245.000 Kilometer auf der klassischen Uhr hat, springt das Triebwerk mit den beiden charakteristischen obenliegenden Nockenwellen problemlos an und läuft sofort rund.
Mit dem langen Schalthebel, der das an der Hinterachse liegende Getriebe (Transaxle) bedient, knorpeln wir den ersten Gang rein und der Alfa röhrt los. Der Motor ist sehr elastisch und lässt erstaunlich viel Fahrfreude aufkommen.



Das liegt auch am aufwendigen Fahrwerk, das den Alfa auch nach fast 40 Jahren noch sicher in der Spur hält und einen erstaunlichen Komfort bietet. Komfortabel sind auch die plüschigen Velours-Sitze mit ihren Fischgrätenmustern, die genau wie das Plastik-Armaturenbrett exakt dem damaligen Zeitgeist entsprechen. Die Sitzposition ist typisch Alfa in den 1980ern: Flach stehende Pedale, ebenso flaches, weit entferntes Lenkrad und tiefe Sitze. So hockt man recht ungewohnt mit stark angewinkelten Knien.
Bei der Bedienung geht Alfa damals eigene Wege. So endet die Suche nach den Tasten für die elektrischen Fensterheber zum Beispiel in der Dachkonsole. Und die Handbremse in Form eines riesigen Bügels hat schon fast etwas von einem Flugzeug-Cockpit. Genauso seltsam sind die Türaußengriffe mit großer Drucktaste. Alfa stand damals eben für sportliche Individualität, auch wenn es manchmal wehtat.

Wiederbelebt wurde der Geist des Alfa 75 übrigens im Jahr 2016 mit der Giulia, die als klassische Limousine mit Heckantrieb und sportlicher Ausrichtung genau diesen Faden wieder aufnimmt. Im Rahmen unserer Ausfahrt konnten wir ein kleines Treffen der beiden arrangieren. Sicher ein Augenschmaus für jeden Alfa-Fan:

Nachdem Alfa Romeo in den 1980ern zunächst von Fiat übernommen wird, ist die Marke nun Bestandteil des riesigen Stellantis-Konzerns und belegt dort die sportliche Premium-Sparte. Dabei ist man sich aber der Tradition bewusst und versucht, die traditionellen Markenwerte mit dem Konzerndenken zu vereinbaren. Sicher keine leichte Aufgabe, aber der Mühe wert.